Global Challenges Europa braucht eine andere Nahost-Strategie

16.07.2020

von Volker Perthes

© MOHAMMED TALATENE/DPA

Die EU wird beim Thema Naher Osten bald gefordert sein. Ist sie vorbereitet? Über eine nötige Israel-Politik – und die falsche Fixierung auf den Iran. Ein Gastbeitrag.

Global Challenges ist eine Marke der DvH Medien. Das neue Institut möchte die Diskussion geopolitischer Themen durch Veröffentlichungen anerkannter Experten vorantreiben. Heute ein Beitrag von Prof. Dr. Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) Berlin. Weitere Autoren und Autorinnen sind Prof. Dr. Ann-Kristin Achleitner, Sigmar Gabriel, Günther H. Oettinger, Prof. Jörg Rocholl PhD, Prof. Dr. Bert Rürup und Prof. Dr. Renate Schubert.

Fluidität ist wohl das Wort, das die geopolitische Dynamik im Nahen und Mittleren Osten am besten beschreibt: Zwischen Ägypten und dem Persischen Golf gibt es keine Sicherheitsarchitektur, keine stabile Machtbalance, nicht einmal eine klare Kräftehierarchie. Die Perspektive ausländischer Mächte richtet sich auf die Abwehr von Gefahren, wirtschaftliche und politische Chancen der Region sind längst in den Hintergrund getreten.

Die Erwartung an Europa, sich stärker um regionale Entspannung zu bemühen, dürfte aber bald wachsen – zumal die USA im Nahen und Mittleren Osten kaum mehr präsent sind. Ist Europa auf diese Herausforderung vorbereitet?

Lange beherrschte der rasch internationalisierte Bürgerkrieg in Syrien die außenpolitischen Debatten, schon weil er die politischen, konfessionellen und regionalen Rivalitäten der Region wie unter einem Brennglas vergrößert zeigte. Noch heute sind russische, türkische, amerikanische, iranische und israelische Streitkräfte aktiv an militärischen Auseinandersetzungen in Syrien beteiligt. Dennoch steht der Konflikt nicht mehr im Zentrum des regionalen Geschehens.

 

Selbst arabische Staaten, die das Anti-Assad-Lager im Krieg unterstützt hatten, normalisieren ihre Beziehungen zu Damaskus. Die Türkei vertritt ihre Interessen im Norden Syriens, konzentriert sich aber mehr auf Libyen. Russland will Assads Regime, das es ohne Putins neue „Großmachtpolitik“ gar nicht mehr gäbe, stabilisieren.

Die Golfstaaten stemmen sich dagegen, Syrien iranischem, russischem und türkischem Einfluss zu überlassen. Irans Position wiederum wird durch den Ölpreisverfall, die Corona-Pandemie, US-amerikanischen Sanktionen und Luftangriffe Israels auf iranische Stellungen in Syrien geschwächt. Allerdings ist nicht zu erwarten, dass Teheran sich in absehbarer Zeit aus Syrien zurückziehen wird. Selbst Kritiker des Regimes sehen in der militärischen Präsenz in Syrien ein nützliches Element der Abschreckung gegen Israel.

Iran und Israel verhandeln nicht über Syrien, jedenfalls nicht so wie Diplomaten Verhandlungen führen. Die Antagonisten setzen auf einen „Dialog“ begrenzter Raketenschläge. Er soll verdeutlichen, wo die jeweiligen roten Linien verlaufen, was gerade noch geht oder eben nicht mehr: für Israel etwa eine existenzgefährdende, bewaffnete Präsenz Irans an den Golanhöhen. Teheran versteht das, so wie Jerusalem realistisch genug ist, nicht zu versuchen, Irans Präsenz in Syrien komplett zu beenden. Das ist nur eine plakative Forderung der USA, die vor allem den eigenen, maximalen Druck auf Iran rechtfertigen soll.